24.1.2024

Vor mehreren Jahren hörte ich zum ersten mal das Wort „Wertschätzung“ im Zusammenhang mit Mitarbeiterführung. In der Gesprächsrunde auf der großen Bühne eines Hotelkongresses berichtete ein Manager einer großen Hotelkette, dass der den Empfangschefs immer wieder sage: „Warst du denn heute schon draußen und hast wertgeschätzt?“

Ich wäre fast aufgesprungen und hätte dazwischengerufen. „Ignorant!“ Habe ich natürlich nicht gemacht.

Von vorn: Lob ist wichtig. Unser Bestreben ist viel zu oft darauf ausgerichtet, Fehler zu finden und sie dann zu korrigieren oder die Abwesenheit von Fehlern als gute Leistung bezeichnen. Stattdessen sollten wir als Chefs versuchen, die Mitarbeiter bei guten Leistungen zu erwischen und unverzüglich loben. Es ist eine Binsenweisheit, dass ich mit dem schwäbischen „nicht geschimpft ist genug gelobt“ nicht mehr durchkomme. Dabei muss das Lob angebracht und angemessen sein, sonst wirkt es wieder wie Manipulation. Solange wir Lob als Managementmethode benutzen, ist es nur Manipulation, selbst wenn wir dem einen hochtrabenden Namen geben. Die Mitarbeiter merken es ohnehin, wenn sie be-managed werden, wenn also der Empfangschef mal herauskommt und jedem eine Handvoll „Wertschätzung“ auf den Empfangstresen legt.

Seitdem hat das Wort Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch des HR-Talks genommen. „Wertschätzen“ ist zum Modewort geworden. Selbst das Gehalt fällt neuerdings unter die Kategorie Wertschätzung. Damit kein Irrtum aufkommt: Lob, Gratifikation, Dank, Anerkennung und Kritik sind wichtig. Sie sind allerdings nicht selbst Wertschätzung, sondern im besten Falle dessen Ergebnis.

Denn: Wertschätzung ist keine Tätigkeit, sondern eine Haltung.

Wertschätzung ist die innere Haltung, die ich gegenüber dem Menschen habe, der vor mir steht. Sie führt dazu, dass ich ihn in seiner Persönlichkeit akzeptiere und ernst nehme.

Wertschätzung ist persönlich. Sie hat nichts mit dem Anstellungsverhältnis oder mit Hierarchie zu tun, sondern ist die rein persönliche Ebene.

Wertschätzung ist zweckfrei. Sie besteht unabhängig davon, welche Leistung der Mitarbeiter bringt oder wie er aussieht. Sie ist insofern also auch nicht eine Tätigkeit, die ich einsetze, um den Mitarbeiter zu mehr Leistung zu bringen (Wertschöpfung durch Wertschätzung).

Wertschätzung nimmt den anderen ernst. Das bedeutet, dass ich den Mitarbeiter lobe, wenn es angebracht ist, und tadle, wenn es angebracht ist.

Wertschätzung ist individuell. Sie respektiert den einzelnen Menschen mit seiner Persönlichkeit und Einzigartigkeit, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Neigung oder anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Wertschätzung ist die Basis für die persönliche Beziehung zu Mitarbeitern und Kollegen. Aus dieser Haltung ergeben sich Zugewandtheit, Lob und Tadel, Respekt, Fairness und Gerechtigkeit.